Horst Schroeder

Gratulationen

1917 1924 1926 1927 1928 1930  
1932 1936          

1917

Gruß an Alfred Kerr. NZZ, 25. Dezember 1917, Drittes Blatt, Nr. 2426.
Anläßlich Alfred Kerrs fünfzigstem Geburtstag: „Wie fühlen Sie sich nun eigentlich heut als ‚Mann von fünfzig Jahren’, Sie wohlerhaltener Fünfunddreißiger? […] Doch ich fürchte, literarisch zu werden, und wir unterhalten uns ja meist über bessere Dinge. Unterhielten uns auch nur die ersten fünf Minuten über Theatereindrücke, wenn wir unzählige Male nach Premieren zusammen saßen. Und nun gar unsere Telefongespräche mit ihrer ebenso lustigen wie listigen Geheimsprache! Die sind mir eine freundliche Gewohnheit geworden. Wenn ich Ihren Anruf einmal einen Tag entbehren mußte, fühlte ich mich fast vesucht, mit dem römischen Kaiser auszurufen: Diem perdidi! – Wissen Sie eigentlich, wie lange wir einander kennen? Seit 1899. Ich kann es Ihnen auf den Tag angeben. Das ist keine besondere Gedächtnisleistung von mir; denn es war mein Geburtstag. Ein wertvolleres Geschenk ward mir nie zuteil. Ich habe es Ihnen wohl schon zehnmal erzählt, aber manche Geschichte hören Sie auch zum elftenmal noch gern. Es war nach einer Aufführung von Antonius und Kleopatra mit der Duse. Wahrlich, keine schlechte Schirmherrin. Ich stand vor dem Lessing-Theater und hatte mir eben eine Zigarette angezündet. Da treten Sie an mich heran mit den gar nicht originellen Worten: ‚Darf ich Sie um Feuer bitten?’ – Was wie eine flüchtige Reisebekanntschaft zu beginnen schien, war doch mit einer symbolischen Frage eingeleitet. Nur zu bald freilich sollten wir die Rollen tauschen: Sie haben mir den Prometheusfunken gereicht, von Ihrem Feuer geliehen, das nie erlosch, von der steten Flamme Ihrer heitern Lebensauffassung Wärme gespendet. – …Ich bin den meisten Literaten in Deutschland, einer ganzen Anzahl in England begegnet. Ich pfeife auf Literatenbekanntschaften, wenn man nicht nebenher oder vielmehr vornehmlich einen anständigen Menschen kennen lernt. Künstler sein heißt nicht notwendigerweise, wie immer noch manche wähnen: ein Schwein sein. – Was Sie als Schriftsteller gelten, wird Ihnen heut ein hundertstimmiger Chorus sagen. Meiner Überzeugung nach hat seit Heine und Nietzsche niemand in deutscher Prosa so Schule gemacht. Mit jenem teilen Sie den Übermut und die Anmut, mit diesem die Musik des Stils. Die kristallne Klarheit ist Ihr Patengeschenk. Sie gaben: Bildung ohne Langeweile, Tiefe ohne Dunkelheit, Grazie ohne Oberflächlichkeit, – und würzen Hohes und Niedriges gleichermaßen mit Humor. Ihre oft verlachte, noch öfter nachgemachte Telegrammweis’ ist nichts anderes als verdichtetes Denken, in die knappste Form gefaßt.“

Alfred Kerr. Berliner Börsen-Courier, 25. Dezember 1917, 1. Beilage, Nr. 602.
Hommage – eine von zwanzig – an Alfred Kerr aus Anlaß seines 50. Geburtstags: „Shaw, des seichten Tons nun endlich satt, erhob die Forderung nach dem Dichter-Philosophen; Alfred Kerr verwirklicht durch sich den Dichter-Kritiker. Der Verdichter in ihm ist so unerreicht, daß der Versdichter hinter ihm zurückstehen muß. Was die Leute seine Manier nennen, ist seine Melodie; was ihnen als Telegrammstil gilt, ist klarstes Denken, in die knappste Form gegossen. – […] Kerr verlangt nicht, daß einer Dichter und Kritiker sei; er verlangt, daß einer in seinen Kritiken Dichter sei, will sagen: eine Arbeit des Verdichtens leiste, die der Kritisierte nur zu oft vermissen läßt. Und Musik habe – Musik in sich selbst, Musik des Ausdrucks. […] Schleuder und Harfe sind die von Kerr gewählten Symbole. So kommt er lächelnd, wie sein Ahnherr David, dahergegangen und erlegt manchen dramatischen Goliath. So greift er beherzt, wie sein Schirmherr Robert Schumann, als Davidsbündler in die Saiten. – Niemand hat seit Heine und Nietzsche in deutscher Prosa so Schule gemacht wie Kerr. Alle Jungen haben irgendwie von ihm gelernt. Das ist die stolzeste Anerkennung, die seinem Lebenswerk zuteil ward. Er zeigte, daß man im Deutschen gebildet sein kann, ohne langweilig, tief, ohne dunkel, graziös, ohne spielerisch zu werden, und immer eine klangvolle Sprache schreiben kann.“

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1924

Dem sechzigjährigen Oscar Bie. (Zum 9. Februar). NZZ, 9. Februar 1924, Zweites Morgenblatt, Nr. 199.
Schriftsteller und Kunstkritiker, Herausgeber der Neuen [deutschen] Rundschau (1894-1922) und Opern-Kritiker des Berliner Börsen-Courier. – „Wer kennt es nicht, das süße Bild, das in Lieblings Schlafzimmer über dem Bett hängt? Ein Kind, dem Spieltrieb hingegeben, jagt einen Schmetterling über den bunten Anger und merkt nicht, daß es dicht am Abgrund steht; aber hinter ihm erscheint mit ausgebreiteten Flügeln der Schutzengel der Kleinen, und er wird dafür sorgen, daß diesem Wildfang nichts geschieht. – Sonderbar – wenn ich dieses Kitschbild sehe, muß ich an Oscar Bie denken. So gaukeln schillernde Falter vor ihm her, wenn er über den bunten Anger der Kunst schreitet, und sein guter Genius läßt ihn niemals straucheln. […] Verträumt und sicher, versonnen und hellsehend – das gibt allem, was er schafft, das Gepräge. Auch in seinem Verhältnis zur Kunst hat er etwas vom Kinde. Bei aller Bildung ist er ganz naiv; bei aller kritischen Einstellung ganz genußfreudig; bei aller Hingebung ganz egoistisch. […] Das ist sein ungebrochenes Künstlertemperament. […]“

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1926

Berliner Oper und Schauspiel. NZZ, 24. September 1926, Mittagausgabe, Nr. 1531.
Der Dirigent Bruno Walter (Städtische Oper Charlottenburg) und der Dekorationsmaler Cesar Klein (Barnowsky-Bühnen) 50 Jahre alt (am 15. bzw. 14.09.26). – „Bruno Walter ist am 15. September fünfzig Jahre alt geworden und sah sich aus diesem Anlaß intra muros der Charlottenburger Oper et extra überschwenglich gefeiert. Er hat unbestreitbar das ihm anvertraute Haus in der kurzen Zeit seines Wirkens aus bürgerlich durchschnittlicher Region auf achtbare Höhe geführt und mit Hilfe auswärtiger Gäste manche Vorstellung zustande gebracht, um welche die Staatsoper ihn beneiden durfte (wenigstens soweit es sich um die Solisten handelte). Die besten verfügbaren Kräfte aus Wien, München, Berlin kamen auf Charlottenburger Gelände zu edlem Sängerwettstreit zusammen. Das Ensemble, das sie dort vorfanden, erhielt durch diese erlauchte Auffrischung ungeahnte Leuchtkraft und wohl auch Zugkraft. Eine andere Frage ist freilich, ob die Stadt Charlottenburg sich ein solches Luxusinstitut auf die Dauer wird leisten können. Zahlen reden eine unerbittliche Sprache, und an einer nüchternen Bilanz sind oft schon die schwungvollsten Pläne gescheitert. – Bruno Walter leitete seinen Geburtstag ein, indem er eine Aufführung von Beethovens Fidelio (mit Helene Wildbrunn, Lotte Schöne, Bender, Rode) leitete. Er wurde mit Jubel überschüttet, wie der selige Komponist ihn vermutlich nie erlebt hat. Die Zeitgenossen scheinen jedes Gefühl für die Dosierung ihres Beifalls verloren zu haben. Ein Dirigent ist schließlich doch nur ein Diener am Werk eines andern, sollte es zum mindesten sein und stets an Kerrs Worte denken, welche mit Recht polemisieren ‚gegen die Vergötzung des Kapellmeisters; gegen einen Zustand, worin Johann Sebastian Bach zum Nasepopel, der Orchesterchef zur Hauptsache wird’. Wenn Bruno Walter das unterschreibt, wird ihm gewiß der berlinische Klamauk, der mit seiner Person getrieben wird, in tiefster Seele zuwider sein. ● Noch ein andrer Mann, dem Berlins Bühnen viel zu danken haben, wurde dieser Tage fünfzig: der Dekorationsmaler Cesar Klein. Barnowsky hat ihn wohl zuerst auf diesem Gebiet beschäftigt und damit einen ausgezeichneten Griff getan. So verschiedenartigen Werken, von der Tragödie bis zur Operette, Cesar Klein seine Dienste lieh: er hat wohl nie versagt und sich nie selbstherrlich mit seinen Hintergründen in den Vordergrund gedrängt. Manche seiner Illustrationen waren entschieden wertvoller als das Illustrierte. So zuletzt noch seine Bühnenbilder zu Klabunds kläglichem Cromwell [vgl. MMs Theaterkritik in der NZZ vom 13.09.26, Nr. 1465].“

Max Reinhardts Jubiläum. NZZ, 4. November 1926, Abendausgabe, Nr. 1784.
Festakt im Deutschen Theater am 30.10.26 zu Ehren der 25-jährigen Tätigkeit Max Reinhardts als Regisseur und Bühnenleiter. – „Zu Ehren der 25-jährigen Tätigkeit Max Reinhardts als Regisseur und Bühnenleiter hatten die Schauspieler des Deutschen Theaters in der Nacht des 30. Okt. zu einem Festakt eingeladen. Die vertrauten Klänge der Sommernachtstraum-Musik durchfluteten zuerst das dicht gefüllte Haus in der Schumannstraße und erinnerten daran, daß dieses Stück den Namen Reinhardts recht eigentlich populär gemacht hat. Als danach der Vorhang sich wieder teilte, sah man sämtliche Schauspieler der Reinhardt-Bühnen versammelt, und der Jubilar hielt mit dem Ehrenkomitee, dem auch Gerhart Hauptmann und Slevogt angehörten, seinen Einzug. Alle Anwesenden erhoben sich von ihren Sitzen. Den Reigen der Redner eröffnete der Schauspieler Paul Otto, der die eingegangenen Telegramme und Glückwunschschreiben verlas, darunter solche von Firmin Gemier, Maxim Gorki und Stanislawski. Danach fand der Kultusminister Dr. Becker kluge und warme Worte für das Wirken des Jubilars; zum erstenmal wohl wurde so einem Privatunternehmer die Anerkennung der Regierung zuteil. Es folgte der Berliner Oberbürgermeister Dr. Böß, der den an verschiedenen Orten heute wirkenden Theaterdirektor in erster Linie für die deutsche Reichshauptstadt in Anspruch nahm. Mit stürmischem Beifall wurde der französische Dichter Tristan Bernard begrüßt, der überaus gewinnend, mit der echten Bonhomie des Galliers, mehr über das Verhältnis von Deutschen und Franzosen als über den besondern Anlaß der Stunde sprach. Henri de Vries, Hollands bedeutendster Schauspieler, überbrachte die Grüße seiner Landsleute. Intendant Jeßner, Präsident Rickelt, Direktor Barnowsky huldigten im Namen der von ihnen repräsentierten Verbände. Gertrud Eysoldt und Alexander Moissi gaben den Gefühlen der Schauspieler Ausdruck. Die beste Rede des Abends kam vom Jubilar selbst. Gleich ihr Anfang: daß er eher imstande wäre, sie einem andern einzustudieren als selbst zu halten, weckte verständnisvolle Heiterkeit. Und so kam noch öfters nach dem Pathos der Humor zu seinem Recht. Reinhardt dankte jedem einzelnen für seine guten Worte und wußte doch diesen Dank in diplomatischer Weise zu differenzieren. – Die Gäste blieben in angeregtester Stimmung bis zum frühen Morgen vereinigt.“

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1927

Kleine Reminiszenz an Galsworthys 60. Geburtstag. NZZ, 18. August 1927, Morgenausgabe, Nr. 1386.
„In diesen Tagen kann man kaum eine Berliner Zeitung öffnen, ohne darin einen Huldigungsaufsatz für John Galsworthy zu finden. Überall in Deutschland preist man den Dichter der Forsyte-Saga. Recht so […]. Wenn auch natürlicherweise nicht alles, was er geschrieben, Bestand hat […], so wird er doch fraglos mit seinem Hauptwerk in die Unsterblichkeit einziehen, weil es, über das Panorama einer einzelnen, typisch britischen Familie hinausgehend, das Bild einer ganzen Gesellschaftsschicht in markanten Individualgestalten mit untrüglichem Scharfblick, hohem Gerechtigkeitssinn und einer gewissen wohlwollenden Ironie aufzeichnet. Die Forsytes werden vermutlich längere Lebensdauer haben als die Rougon-Macquart, bestimmt längere, wenn man sich auf das Glatteis des Prophezeiens wagt, als die Buddenbrooks. (Darüber ließe sich streiten. Die Red.) […] Wenn Galsworthy heute die Lobesergüsse seiner deutschen Verehrer lesen sollte, mag er mit dem ihm eigenen Skeptizismus im stillen denken: spät kommt ihr, doch ihr kommt. Er wird schwerlich vergessen haben, daß man’s anders vor dem Kriege las. Oder vielmehr: man las ihn wenig und noch weniger über ihn. Ich will nicht sagen, daß er totgeschwiegen wurde oder daß eine böse Absicht vorlag; ich wüßte jedoch keinen namhaften Schriftsteller namhaft zu machen, der damals für ihn eingetreten wäre. […] Als erster habe ich seine Fahne gehißt. Schon im Jahre 1909 veröffentlichte ich (bei Bruno Cassirer in Berlin) meine Übersetzung der Komödie The Silver Box (von mir Der Zigarettenkasten genannt), die manchem Engländer heute noch als sein bestes Werk, mindestens als sein bestes Bühnenwerk gilt. Das Echo, das sie weckte, war keineswegs ermutigend. Trotzdem ließ ich im Jahre 1913 ein zweites Theaterstück, das Drama Justiz, folgen. Wenn ich daran zurückdenke, was ich damals alles zu hören bekommen bekam, kann ich mich eines Lächelns heute kaum erwehren. Ein mir in jenen Tagen befreundeter Berliner Bühnenleiter fand es unbegreiflich, daß ich mich für diesen Engländer einsetzte, der an Geschicklichkeit der Technik, an Schlagkraft des Dialogs, an Ursprünglichkeit der Charakteristik vom kleinsten Franzosen übertroffen werde. So ungefähr lautete sein Urteil. Eine besonders tückische Ironie des Schicksals hat es gefügt, daß derselbe Theatergewaltige knapp ein Dutzend Jahre später von diesem Engländer mit einem nach meiner Überzeugung wesentlich schlechtern Gesellschaftsstück aus schwerer finanzieller Krise gerettet wurde: der außergewöhnliche Kassenerfolg eines Dramas von Galsworthy bewahrte ihn vor dem Zusammenbruch. […] Auf meine Anregung hin war ferner die Verdeutschung dreier Romane von Galsworthy (bei demselben Bruno Cassirer) erfolgt. Darunter befand sich The Man of Property – deutsch nicht ganz deckend Der reiche Mann genannt –, das wichtigste und wertvollste Stück der Forsyte-Saga. Dies geschah bereits im Jahre 1910. […] An Gedenktagen ist es immer lehrreich, Rückschau zu halten. Wer im sichern Hafen gelandet ist, dem verschlägt es wenig, daß er eine schwere Fahrt hatte. So mag John Galsworthy mit besonderer Genugtuung an seinem sechzigsten Geburtstag daran denken, daß er lange kämpfen mußte, bis er in Deutschland sein Ziel erreicht hatte. Und ich darf, nicht ohne Genugtuung, daran denken, daß ich als erster ihm den Weg gebahnt habe. Heil!“

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1928

Ein Künstlerjubiläum. NZZ, 13. November 1928, Abendausgabe, Nr. 2082.
Fünfzigjähriges Künstlerjubiläum des Cellisten Heinrich Grünfeld. – „Am 13. November feiert in Berlin Heinrich Grünfeld, der weltbekannte Cellist, sein fünfzigjähriges Künstlerjubiläum. Nicht der Länge der Zeit nach ist dies ein Unikum (Joseph Joachim z.B. konnte sein sechzigjähriges Künstlerjubiläum feiern), sondern durch den Umstand, daß die Konzerte fünfzig Jahre lang an derselben Stelle, in der traditionsreichen Singakademie, stattfanden. ‚Ich könnte die Singakademie zweimal mit meinen toten Abonnenten füllen’, hat Grünfeld einmal wehmütig gesagt. Sie war die Wiege seines Ruhms. Der Professor ist den Berlinern treu geblieben, und die Berliner sind ihrem ‚Meister Heinrich’ treu geblieben. Immer mehr wuchsen sich seine Konzerte, denen fast alle bedeutenden Instrumental- und Vokalkünstler des letzten halben Jahrhunderts ihre Mitwirkung liehen, zu gesellschaftlichen Ereignissen aus. Grünfeld erfreut sich auch als Mensch, infolge seines immer hilfreichen, liebenswürdigen Wesens und nicht zuletzt durch seinen schlagfertigen Witz, außerordentlicher Beliebtheit. Er kann wirklich von sich sagen, daß er keinen Feind hat; vielleicht hat er nie einen gehabt. Am früheren Kaiserhofe war er, auch als Anekdotenerzähler, ebensogut angeschrieben, wie er es noch heute beim Bürgerpublikum ist. Von wahrer Popularität zeugt es, daß man ihm (ähnlich wie Tristan Bernard in Paris) Witzworte unterschiebt, die gar nicht von ihm stammen. Die besten hat er in seinen Lebenserinnerungen, die vor einigen Jahren bei Grethlein [in Leipzig] erschienen sind, aufzuzeichnen versucht. Auch zur Literatur unterhielt er immer enge Beziehungen. Er ist seit langem mit Gerhart Hauptmann innig befreundet, und die meisten Schriftsteller machen sich von jeher ein Vergnügen daraus, ihm Widmungsexemplare ihrer Werke zu stiften. Ein großer Bücherschrank in seiner Wohnung ist damit gefüllt. Von Spielhagen bis Klabund reicht die lange Reihe. Auch der Schreiber dieser Zeilen sollte in dem Reminiszenzenmuseum in der Luitpoldstraße vertreten sein. Er hat in ein Buch den Zweizeiler gesetzt: ‚He is a jolly good fellow – im Leben und auf dem Cello’. Dabei bleibt es. Dabei soll es noch lange bleiben.“

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1930

Barnowskys Jubiläum. NZZ, 18. September 1930, Mittagausgabe, Nr. 1802.
25jähriges Dienstjubiläum des Berliner Theaterdirektors Viktor Barnowsky am 15.09.30. – „Heinrich Laube, heute vergessen (trotz den Karlsschülern), vormals ein Bühnengewaltiger, hat einmal den Ausspruch getan, ein Theaterdirektor solle nur sieben Jahre in Amt und Würden bleiben. Er selbst war freilich viel länger Leiter des Wiener Burgtheaters; aber er meinte wohl, daß sieben Jahre des ständigen Kleinkriegs mit dem aufgeregten Künstlervölkchen vollauf genügen, die Energie und die Nervenkraft auch eines Dickhäuters zu verzehren. ● Das heitere Künstlervölkchen ist mittlerweile nicht weniger nervös geworden; doch es scheint fast, als ob die Bühnenleiter heutzutage weniger Nerven hätten, sonst könnten sie sich nicht so lange so seelenruhig auf so umbrandetem Posten behaupten. Den Rekord des Durchhaltens stellt Viktor Barnowsky dar, der am 15. September sein 25jähriges Jubiläum als Berliner Theaterdirektor feiern darf (Reinhardt ist ihm zwar, Ende Mai, voraufgegangen [mit seinem 25jährigen Jubiläum als Leiter des Deutschen Theaters], aber dessen Rekord weist, bei größerer Resonanz, die geringere Konstanz auf: er zog es vor, jahrelang als grollender Achill auf Berlin zu pfeifen und sich zwischen Berlin, Wien, Salzburg und USA zu zersplittern). Barnowsky ist ein Unikum oder, wenn das zu sehr nach Abnormitätenkabinett klingt, ein Hapax-legomenon der deutschen Theatergeschichte: vor ihm hat es noch nie Mann oder Frau gegeben, die ein Vierteljahrhundert lang in Berlin an der Spitze mehrerer Theater standen. ● Am 15. September 1905 eröffnete er das Kleine Theater mit Kleist (Zerbrochener Krug) und Goethe (Laune des Verliebten). Es war die Laune eines in den Rampenflitter Verliebten. In den acht Jahren, die er dort, als Reinhardts Nachfolger, wirkte, hat er, trotz primitivster Bühne, sein Intensivstes gegeben. Er zog am 15. September 1913, als Brahms Nachfolger, ins Lessing-Theater mit Peer Gynt, der sein nachhaltigster Erfolg wurde. Da, wie man sagt, ein Theater in Berlin unrentabel ist, nahm er das Deutsche Künstlertheater hinzu. Seit 1925 ist er Herr des Theaters in der Königgrätzer Straße (jetzt: Stresemannstraße) und des Komödienhauses. ● Erstaunlich bleibt die Zahl der von Barnowsky nach Berlin geholten Schauspieler, die rasch zur Prominenz emporstiegen. Oder vielleicht nimmt es nicht Wunder, wenn man sich daran erinnert, daß er selbst aus dem Schauspielerstand hervorgegangen ist (Lord Goring im Idealen Gatten war wohl seine Lieblingsrolle). Als Regisseur hat er seine Künstler aufs sichtbarste gefördert. In der Entdeckung von Bühnenschriftstellern eignet ihm eine minder glückliche Hand. Seitdem Shaws Zurück zu Methusalem, worauf Barnowsky die größten Hoffnungen und woran er ein kleines Vermögen setzte, beim Publikum ohne Gegenliebe blieb [vgl. MMs Theaterkritiken in der NZZ vom 27.09.25 / Nr. 1504 und 02.12.25 / Nr. 1910], ist sein Wagemut – wenn nicht erloschen, so doch gelähmt. Er kann, bei der Ungunst der Zeiten, heute nur noch riskieren, was mit keinem Risiko verknüpft ist. Der gute Rechner in ihm hat den Idealisten matt gesetzt. ● Es ist die Tragik seiner Lebensleistung, daß sie von einem grellern Licht überstrahlt wird; doch es bedeutet viel, daß Viktor Barnowskys Licht seinen steten Schein bewahrt.“

40jähriges Jubiläum der Berliner Volksbühne. NZZ, 29. September 1930, Mittagausgabe, Nr. 1875.
Festakt der Volksbühne mit einer Aufführung von Gerhart Hauptmanns Die Weber (20.09.30). – „Neuerdings wird ein bißchen viel jubiliert in Berlin: Reinhardts Jubiläum, Barnowskys Jubiläum, Volksbühnenjubiläum, obwohl die wirtschaftliche Lage der Theater zu allem andern eher herausfordert als dazu, feste Feste zu feiern. Die Spielzeit hat mit schweren Sorgen und geringen Hoffnungen eingesetzt – ein Abbild der allgemeinen Misere, von der die Kunst nicht verschont bleibt. Der ominöse Vogel aus der Gattung der Geier rückt mit bedrohlichem Flügelschlag näher. Die Klagen über schlechten Geschäftsgang haben zwar seit dem Krieg niemals aufgehört, aber diesmal erschallen sie besonders laut und eindringlich. Auch die Volksbühne soll einen beträchtlichen Schwund ihres nach Hunderttausenden zählenden Mitgliederstammes erlitten haben; trotzdem scheint ihre Zukunft gesicherter als die mancher Berliner Bühnen, und sie hat allen Grund, auf ihre Vergangenheit stolz zu sein. Denn ihre Anfänge vollzogen sich im ständigen Kampf gegen die Schikanen der Behörden, denen diese ganze Richtung nicht paßte. Heute gärt es in ihren eigenen Reihen, da sich ein Zweig der Radikalen abgespalten hat, die den Spielplan der Volksbühne nicht extrem genug haben können. Hoffentlich bekommen diese politischen Heißsporne nicht Oberwasser. – Die Feier wurde durch einen Festakt begangen, dessen Hauptsprecher der Kultusminister und Gerhart Hauptmann waren. Dessen Weber kamen unter der Regie Karl Heinz Martins, des derzeitigen Leiters, zur Aufführung. Eine sehr achtbare Vorstellung, freilich ohne Spitzenleistungen, wie sie von früher her im Gedächtnis haften. Befremdend wirkte, daß der Regisseur glaubte, dem Dichter durch Einlagen zwischen den Akten unter die Arme greifen zu müssen. Befremdend auch, daß der anwesende Dichter das duldete.“

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1932

Ehrung für George Moore. NZZ, 5. März 1932, Morgenausgabe, Nr. 410.
Bericht über die Hommage, die George Moores Freunde und Verehrer zu seinem 80. Geburtstag am 24.02.32 in der Times veröffentlicht hatten. – „Dem 80jährigen George Moore ist an seinem Geburtstag (24. Februar) aus Freundes- und Verehrerkreisen eine rhapsodische Huldigungsadresse zugegangen, wie sie kaum je ein lebender Dichter empfangen haben dürfte. Darin wird unter seinen Verdiensten aufgezählt, daß er in Daphnis und Chloë eine makellose Übersetzung geschrieben habe, in Esther Waters eine Erzählung, die einen Markstein in der Literatur bedeute, in Hail and Farewell eine Autobiographie, die sich mit der Rousseaus in eine Reihe gestellt habe, in Héloïse und Abélard einen philosophischen Roman von höchster Schönheit und in The Brook Kerith ein Prosaepos, das in der englischen Sprache einzig dastehe. ‚Die Anwendung dieser Sprache’ – heißt es in dem Schriftstück weiter – ‚hat sich durch Ihren Einfluß gewandelt, gleichsam als ob Sie in alter Musik neue Klänge und Rhythmen entdeckt hätten, die in der Luft schweben, wenn junge Menschen künftig Romane schreiben. Sie haben die Erzählung gelehrt, wieder dahinfließen, und die Anekdote, sie beleuchten, wie die Sonne einen Strom. Sie haben Worte und Erfindung dahin gebracht, neue Lieder gemeinsam zu singen, welche als die eines Ebenbürtigen von den Meistern angesprochen würden, auf die sich die Tradition unserer Literatur stützt, und an Ihrem achtzigsten Geburtstag ist die Feder noch in unverminderter Kraft in Ihrer Hand.’ Zu den Unterzeichnern dieser Adresse gehören von englischen literarischen Persönlichkeiten, die auf dem Kontinent bekannt sind: Maurice Baring, Granville Barker, Barrie, Max Beerbohm, James Joyce, Desmond McCarthy, Walter De La Mare, Gerald du Maurier, Harold Nicolson, Alfred Sutro, Humbert Wolfe. Von bekannten Franzosen haben mitunterzeichnet: Jacques Emile Blanche, Mme. Duclaux, Edouard Dujardin, André Gide, André Maurois, Henri de Regnier, Paul Valéry. Unter den Angehörigen anderer Berufe findet man noch die Namen von: Ramsay MacDonald, Lord Berners, Sir Edward Elgar, Lord Howard de Walden, Sir William Rothenstein, Sir Philip Sassoon, Gertrude Kingston, Sybil Thorndike. Der Prinz von Wales hat es sich nicht nehmen lassen, dem Jubilar, den er persönlich kennt und schätzt, ein besonderes Telegramm zu schicken. ● Es muß auffallen, daß in diesem Schiffskatalog von Berühmtheiten nicht ein einziger deutscher Name vertreten ist, und die deutsche Presse, die neuerdings jede fünfzigjährige Eintagsfliege hätschelt, hat den achtzigsten Geburtstag George Moores auf der ganzen Linie mit Stillschweigen gefeiert, obwohl ein gewisser Max Meyerfeld sich für ihn schon vor dreißig Jahren eingesetzt hat.“

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1936

Berliner Theater. NZZ, 23. April 1936, Morgenausgabe, Nr. 689.
Hommage an den Berliner Schauspieler Arthur Kraußneck aus Anlaß seines 80. Geburtstags. – „Arthur Kraußneck, der Berliner Schauspieler, der bis vor wenigen Jahren am Staatstheater tätig war, konnte am 10. April das achte Jahrzehnt seines Lebens beginnen. Er ist nie ein Star gewesen und stand doch immer in der ersten Reihe. Ja, man darf ihn getrost den besten Sprecher der deutschen Bühne nennen. Wer je von ihm die Stimme des Herrn im Prolog zum Faust gehört hat [in der Aufführung vom 02.12.32], wird den Klang dieser Stimme – allgütig und allweise – nicht wieder vergessen. [In MMs Besprechung in der NZZ vom 10.12.32 / Nr. 2315 findet sich Kraußnecks Name allerdings nicht.] Und wer je von ihm die Worte des sterbenden Attinghausen gehört hat, mit denen er den Anbruch einer neuen Zeit verkündet [vgl. MMs Theaterkritik in der NZZ vom 18.12.19, Nr. 1990], der hat edelste Sprechkunst vernommen. Je mehr diese dem Schauspielergeschlecht von heute verloren zu gehen droht, desto heller strahlt Arthur Kraußneck, fast ein Mythos schon, in die Gegenwart hinein.“

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zuletzt aktualisiert: 18.06.19